Das seltsame Frauenbild der Finanz-Influencerinnen

Sorry, aber Frauen wissen nicht erst seit der Erfindung von Instagram, dass sie sich um ihr Geld kümmern müssen + Kamala Harris "brat"-Wahlkampagne + Olympia-Crazyness

Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Journalistin in Berlin, und in diesem Newsletter lassen wir die Woche gemeinsam ausklingen. Heute mit diesen Themen:

  • Kolumne: “Zahl ein paar tausend Euro für meinen Kurs und du wirst finanziell unabhängig”: Halten Finanz-Influencerinnen Frauen eigentlich für komplett doof?

  • Smalltalk-Repertoire: Was es mit der “Brat”-Wahlkampagne von Kamala Harris auf sich hat

  • Binge-Alarm: Ein juicy Summer-Read und ein Must-Follow-Insta-Account für alle Sportfans

    Viel Spaß beim Lesen!  

Brief von Julia

Was ich diese Woche gelernt habe: Frauen reden nur über Klamotten, haben keine Brain-Kapazitäten für komplexere Themen wie Finanzplanung übrig, und deshalb ist es für Frauen nahezu unmöglich, sich aus eigener Kraft aus der finanziellen Unmündigkeit zu befreien. Zum Glück gibt es inzwischen jede Menge Finanz-und Immobilien-Influencerinnen, die nicht müde werden, immer und immer wieder in einfachen Worten zu erklären, wie man es schaffen könne, all diese wahnsinnig schwierigen Angst-Themen eeeeendlich zu verstehen. Es geht ganz einfach: Man muss nur ein paar tausend Euro in ihre Onlinekurse investieren, und schon ist der Weg frei zum Finanz-Glück.

Ironie off. Ihr merkt schon: Ich musste mich diese Woche mal wieder aufregen. Dabei hatte ich mich hochmotiviert für einen digitalen Immobilien-Workshop angemeldet, um “Mut und Wissen” zu diesem Thema “zu tanken”, das wurde mir vorab versprochen, und auch, dass ein Immobilienkauf für wirklich jeden “gut machbar” sei.

Ganz so happy wie die beiden sehr bunt angezogenen Damen, die im Workshop suggerierten, mit nur wenigen Tricks könne es praktisch jede Frau zu einem ähnlichen Immobilien-Imperium bringen (den beiden gehören 60 Eigentumswohnungen), war ich nach einer Stunde Immo-Talk aber nicht: Im (kostenfreien) Workshop wurde sehr viel darüber geredet, wie einfach es sei, als unwissende, unbedarfte Frau ohne Geld zu einer Eigentumswohnung zu kommen (“frage deinen Partner, deine Eltern oder eine Freundin nach Eigenkapital”, super Tipp, danke…) – doch dann sollte ich plötzlich 3000 Euro dafür bezahlen, um im Anschluss-Workshop an die wirklich relevanten Informationen wie Kalkulations-Tipps zu kommen (“denn Fehler beim Immobilienkauf können noch viel teurer werden”).

In dem Moment ist mir mal wieder klar geworden, dass Influencerinnen, die sich vordergründig aufopferungsvoll um die finanzielle Bildung und Freiheit von Frauen kümmern, sich natürlich ihre eigene Zielgruppe schaffen. Je öfter man Frauen einredet, dass sie ja keine Ahnung von Finanzthemen hätten, was ja verständlich sei, weil soooo komplex und schwierig, desto größer scheint die Hürde zu werden, sich eigenständig ein paar Basics anzueignen.

Nicht falsch verstehen: Es ist natürlich ein legitimes Geschäftsmodell, Wissen gegen Geld weiterzuvermitteln, und genauso legitim ist es, die Entscheidung zu treffen, sich lieber in hübschen Pastellfarben aufbereitete Informationen reinzuziehen, als mühsam selbst zu recherchieren. Und dass finanzielle Bildung ein wichtiges Thema ist, will ich sicher nicht abstreiten (s. dazu auch mein Interview mit den Wirtschaftsjournalistinnen und “Finanzielle”-Gründerinnen Astrid Zehbe und Daniela Meyer).

Nur: Man muss sich eben schon gewahr sein, dass Finanzcontent nicht aus reiner Nettigkeit erstellt wird, dass es NICHT nur darum geht, ein WICHTIGES Thema publik zu machen, über das sonst NIEMAND sprechen würde – sondern dass Female-Finanz-Accounts schlicht monetäre Ziele verfolgen.

Und diese Ziele werden eben auch über die Taktik erreicht, ein ziemlich seltsames Frauenbild immer und immer wieder in die Öffentlichkeit zu zerren, um daran die Notwendigkeit des eigenen Angebots festzumachen: Das Bild der reichlich doofen Frauen, die mit ihrem Leben so überfordert sind, dass eigentlich unklar ist, wie sie es überhaupt geschafft haben sollen, genügend Geld zu verdienen, um ein paar tausend Euro für Onlinekurse ausgeben zu können, die sie wiederum in die finanzielle Unabhängigkeit begleiten sollen.

Sorry, aber Frauen ist nicht erst seit der Erfindung von Social Media klar, dass sie sich um ihr Geld kümmern müssen. Aber das vergisst man offensichtlich leicht, wenn man in der engen Welt einer durchoptimierten Content-Nische lebt.

Also sprechen Finanz-Influencerinnen mit ihrer Zielgruppe wie mit hilflosen Rehen, denen man, überspitzt gesagt, erst mal erklären muss, was ein Konto ist. So beschwerte sich eine andere Finanz-Influencerin diese Woche auf Linkedin darüber, dass auf Instagram eines ihrer Outfit-Fotos “ohne jeglichen Mehrwert” mehr Engagement und Reichweite erreicht habe als die meisten ihrer Finanz-Content-Posts. Das habe sie “enttäuscht”, schrieb die Influencerin, auch wenn sie wisse, dass “vor allem Mütter” oft keinen Nerv mehr für “schwierige” Themen hätten – sie wünschte sich einfach nur, Informationen über ETFs würden das gleiche Interesse hervorrufen wie Outfit-Posts. Garniert war der Post noch mit einer Frage ans Publikum: Was alle, die sich noch nicht mit Finanzen beschäftigen, denn bräuchten, um sich intensiver damit auseinanderzusetzen?

Nun: Garantiert nicht den nächsten überteuerten Onlinekurs, der mir ein neues “Money Mindset” verspricht. Wie wär’s stattdessen mit endlich, endlich mehr Bewusstsein dafür, dass es auch Frauenhirnen durchaus möglich ist, sich mit mehreren unterschiedlich herausfordernden Themen am Tag zu beschäftigen?!

Smalltalk-Repertoire

Festival der crazy Ideen: Ich weiß nicht, ob ich im TV jemals eine abgefahrenere Show gesehen habe als die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris. Eine Heavy-Metal-Band spielte zur nachgestellten Enthauptung Marie Antoinettes, die Minions klauten Mona Lisa aus dem Louvre, Rafael Nadal und Serena Williams fielen beim Fackel-Transport fast vom Boot in die Seine – und Céline Dion sang nach vierjähriger Auftrittspause auf dem Eiffelturm (die beste Review zur Show hat “The Guardian”). Kein Wunder, dass auf Social Media vermutet wurde, hinter dem Konzept könne nur jemand vom Kaliber der crazy Netflix-Marketing-Queen “Emily in Paris” stecken (s. Meme oben!)

“Brat” for President: Die Geschwindigkeit, mit der Kamala Harris Popkultur-Momente für ihren Wahlkampf nutzt, ist atemberaubend. Als Pop-Sängerin Charli XCX, die diesen Sommer den unbekümmerten Gören-Vibe zur Devise erkläret hat, über X postete: “Kamala IS brat”, reagierte das Wahlkampf-Team Harris blitzschnell und tauschte das Hintergrund-Banner des offiziellen Kampagnen-Accounts aus. Dort ist jetzt auf grellgrünem Hintergrund, der an Charlis Album-Cover erinnert, “kamala hq” zu lesen.
Hä, wie, was, brat, grün, ich check nix mehr? Natürlich muss man sehr tief im aktuellen Popkultur-Geschehen stecken, um da noch mitzukommen.
Entscheidend ist: Kamala Harris gelingt es, auch bei der jungen Generation für Begeisterung zu sorgen, endlich den Spaß-Faktor, der bei US-amerikanischen Wahlen auch dazugehört, auf kluge Art für sich zu nutzen (wer erinnert sich noch daran, wie Barack Obama einst versprach, nach seiner Wahl zum US-Präsidenten den MTV-TV-Streit zwischen Heidi Montag und Lauren Conrad zu schlichten?) Im Vergleich zu Donald Trump, der in Sachen Zeitgeist-Kompetenz aktuell nur ein extrem inszeniert wirkendes Video mit Golfstar Bryson DeChambeau zu bieten hat, wirkt Kamala jedenfalls deutlich lässiger.


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Habt Ihr schon mal was von “Green Meetings” gehört? Bei dem Konzept geht es darum, berufliche Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern von Anreise bis Unterkunft nachhaltiger zu gestalten – und den “Mal raus aus dem Office-Alltag”-Effekt zu steigern. Mit Outdoor-Pausen, Yoga und biologischem Genuss. Hört sich eher nach Urlaub als nach anstrengender Tagung mit nervigen Kolleg:innen an, oder?
🎧In der neuen Folge von “Nachhaltig nachgefragt”, dem Podcast der Biohotels, spreche ich mit Maximilian Schwabe vom Schlossgut Oberambach am Starnberger See, einem beliebten und wunderschön gelegenen Tagungshotel.
Im Podcast erzählt Max, warum ihm nachhaltiges Veranstaltungsmanagement so ein Anliegen ist, was er nach vielen ausgerichteten Meetings über die moderne Arbeitswelt gelernt hat – und wie man reagiert, wenn man den Chef in der Sauna trifft.

Binge-Alarm: Was Ihr diese Woche lesen, sehen, hören könnt

📚 Tod im Astro-Retreat: Die gestresste New Yorker Anwältin Margot will sich bei einem spirituell angehauchten Wochenend-Getaway erholen. Doch in “The Astrology House” läuft nicht alles so harmonisch-idyllisch ab wie geplant – Kursleiterin Rini hat nämlich dunkle Pläne… Der Roman von Carinn Jade erinnert ein bisschen an “Nine Perfect Strangers” von Liane Moriarty und ist die perfekte Einfach-nur-abschalten-Lektüre. Bisher nur auf Englisch erschienen, eine Leseprobe findet Ihr hier.

📚 Die Wahrheit über sozialen Aufstieg: EY-Managerin und “Netzwerk Chancen”-Gründerin Natalya Nepomnyashcha schreibt in “Wir von unten” über ihren anstrengenden (Bildungs)Weg vom Hartz-IV-Haushalt in die Chefetage – und denkt einfühlsam über die Frage nach, wie es gelingen kann, dass Geschichten wie ihre nicht mehr die Ausnahme bleiben. Ein tolles Buch, das ich gern allen Upper-Middleclass-Eltern schenken möchte, die die Arzt- und Anwaltskarrieren ihrer Kids ab der Geburt durchplanen.

📱Goldmedaille in der Disziplin Instagram: Die US-amerikanische Rugby-Spielerin Ilona Maher begeistert mich mit ihrer Social-Media-Berichterstattung aus Paris – lustige Behind-the-Scenes-Stories aus dem olympischen Dorf (“I’m here to finde love!”… “Um, no, you’re here to play Rugby.”) und jede Menge real talk über das Leben als Profi-Sportlerin (“all body types can be Olympians!”). Must-Follow für alle Sportfans!

Ich hoffe, Dir hat diese Ausgabe von Sunday Delight Spaß gemacht!

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