Diskutieren, ignorieren, flüchten?

Wenn Querdenker den Smalltalk kapern

Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Journalistin in Berlin, und in diesem Newsletter geht es um die (aus meiner Sicht) interessantesten Zeitgeist-Diskussionen der Woche.
Heute mit diesen Themen:

  • Kolumne (heute mit ernsteren Tönen): Wie mich eine Querdenker-Diskussion verzweifeln ließ (und was ich von Kristina Lunz über den Umgang mit solchen Situationen gelernt habe)

  • Smalltalk-Repertoire: Hilfe, eine selbstbewusste Schriftstellerin! + die ewige Sisi-Obsession + Angela Merkel und die Männer

  • Binge-Alarm: Stephanie Hielscher über ihr neues Buch “So alt war ich noch nie” + Gewinnspiel für VIP Abonnent:innen!

    Viel Spaß beim Lesen!  

Diskutieren, ignorieren, flüchten? Wie mich eine Querdenker-Diskussion verzweifeln ließ

Ein paar Tage nach der Trump-Wahl in den USA. Die politischen Gemüter sind gefühlt noch aufgeheizter als sonst. In einer Smalltalk-Situation unter im Urlaub zufällig aufeinandertreffenden fremden Menschen gerate ich an die Grenzen meiner Diskussionsbereitschaft. Ein “Businesscoach” mit Siegelring schleudert mit kruden Ansichten nur so um sich: Erst geht es ums Energie-Pendeln, dann um Corona als eine “Erfindung der Medien“ und schließlich um “gekaufte” Journalisten und die Feststellung, alle Parteien gehörten abgeschafft, dann sei Deutschland “besser dran”.

Auf Widerspruch wird allergisch reagiert: Ich sei “total verblendet”, weil ich an die Demokratie und eine freie Medienlandschaft glaube. Was soll man da noch entgegnen? Ich breche die Unterhaltung nach mehreren Versuchen, eine halbwegs vernünftige Gesprächsebene zu finden, zu erklären, nachzufragen, immer schärfer meinen Standpunkt zu verteidigen, schließlich ab und mache klar, dass ich mich von einem Querdenker nicht beleidigen lasse, schon gar nicht im Urlaub, in dem ich mich erholen will.

Mich hat dieses eskalierte Gespräch sehr beschäftigt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich mag politische Diskussionen. Aber es gibt eben einen großen Unterschied zwischen der Frage “Habeck oder Merz?” und Unterhaltungen, die an den demokratischen Grundsätzen unserer Gesellschaft rütteln 

Mich schockiert, mit welcher Selbstverständlichkeit inzwischen die absurdesten Verschwörungstheorien verbreitet werden. Ich teile mein Urlaubs-Erlebnis auch mit Blick auf die Feiertage, an denen sich Diskussionen über unterschiedliche Weltanschauungen im erweiterten Verwandtenkreis nicht immer weihnachtlich-friedlich regeln lassen. Dafür muss es nicht mal so krass zugehen wie mit meinem Urlaubsquerdenker.

Ich frage mich, wie man in solchen Situationen dem Anspruch von “wir müssen wieder miteinander reden” noch gerecht werden soll. Was kann ich tun, außer meinen Standpunkt klarzumachen? Was soll man jemandem entgegnen, der Pluralismus für eine Gefahr hält? Wann lohnt sich die Diskussion, wann zieht man sich aus dem Gespräch besser zurück?  

Die Aktivistin Kristina Lunz – der aktuell so viel Hass im Netz entgegenschlägt, dass sie ihre Social-Media-Accounts wie die Website ihrer gemeinnützigen Organisation Centre for Feminist Foreign Policy offline nehmen musste – schreibt in ihrem neuen Buch “Empathie und Widerstand” zu dieser Frage: “Die globalen Herausforderungen verlangen, dass wir uns politisieren und aktiv werden für Demokratie, Menschenrechte, den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, Frieden und Sicherheit für alle. Dafür brauchen wir eine klare und den Menschen zugewandte Haltung: Empathie. Und wir müssen wissen, wann Grenzen überschritten werden und Einhalt zu gebieten ist: Widerstand.”

Mir gefällt dieser Gedanke. Einfühlungsvermögen ist wichtig, um fremde Lebensrealitäten zu verstehen und im besten Falle gesellschaftliche Gräben überwinden zu können. Aber es gibt eben Momente, in denen kommt man mit Verständnis nicht weiter – und dann ist es an der Zeit, deutlich zu werden.

Smalltalk-Repertoire

“Männer!” Angela Merkel veröffentlicht ihre Memoiren – und sorgt mit einem Vorab-Interview im “Spiegel” für Aufsehen, in dem sie den Ampel-Koalitionsbruch als typisch männliches Verhalten einordnet: Dinge zu persönlich zu nehmen, das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden”. Interessant, sonst sind es doch immer die Frauen, die als schnell beleidigt gelten, zwinker, zwinker…
Das restliche Interview ist typisch Merkel: nüchtern und kein Wort zu viel. Ganz ehrlich: Hätte nicht gedacht, dass man diesen Stil in der Politik mal vermissen würde! Bin auf jeden Fall gespannt auf ihr Buch, “Freiheit” erscheint diese Woche.

Hilfe, eine ehrgeizige Frau! Schriftstellerin Caroline Wahl beschwerte sich auf Instagram darüber, nicht für den Deutschen Buchpreis nominiert zu sein – und das mit zwei Bestsellern in zwei Jahren. Das brachte ihr ordentlich Backlash ein, die übliche Leier von “zu ehrgeizig, arrogant, vermessen”, wie immer halt, wenn Frauen zu ihren Erfolgen stehen und nicht einen auf “ich hatte nur Glück” machen. Bei Arte “Twist” erklärt die 29-Jährige nun, dass sie wirklich gar keine Lust habe, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen: “Ich hole mir den Buchpreis noch, das weiß ich!” Coole Einstellung!

Foto: Netflix

Sisi forever: Auf Netflix startet diese Woche die zweite Staffel der Serie “Die Kaiserin”, die die Lebensgeschichte von Kaiserin Elisabeth von Österreich als juicy Historiendrama mit einem Hauch Gesellschaftskritik erzählt (Trailer hier). Hauptdarstellerin Devrim Lingnau ist schön rebellisch als Elisabeth, auch Melika Foroutan überzeugt als streng-exaltierte Herzogin Sophie. Neue Perspektiven auf den Mythos Sisi sucht man in der Serie vergeblich, aber zum Kostüme gucken eignet sie sich hervorragend!

Binge-Alarm: Kulturtipp der Woche mit Stephanie Hielschers neuem Buch “So alt war ich noch nie” (+ Gewinnspiel!)

Stephanie Hielscher kennt Ihr vielleicht aus ihrem Podcast “50 über 50”, in dem sie mit tollen Frauen witzige, informative, nachdenkliche Gespräche übers Älterwerden führt (auch interessant für alle, für die die 50 noch weit weg scheint!). Aus den unterhaltsamsten Gesprächen hat Stephanie nun ein Buch gemacht, das einen sehr ehrlichen Blick darauf wirft, was es heißt, in Deutschland eine Frau über 50 zu sein.

Liebe Stephanie, die meisten Leute befassen sich ungern mit dem Älterwerden. Du machst einen Podcast dazu und hast nun auch ein Buch darüber geschrieben. Warum ist Dir das Thema so wichtig?
Weil es so unbesprochen ist. Ich kam über meine Arbeit mit dem Thema Wechseljahre in Berührung und konnte nicht fassen, dass all die Frauen, die in diese Phase gehen, nichts darüber wissen. Dass die behandelnden Ärztinnen nichts darüber wissen. Dass es keine Räume gibt, die Platz bieten für den Austausch über die Zeit ab 50.

Welche Geschichte Deiner Interviewpartnerinnen hat Dich besonders bewegt? 
Leyla Piedayesh (Gründerin des Modelabels Lala Berlin, Anm.) hat mich mit ihrer Offenheit bewegt. Sie ist durch den Hormonabfall in der Perimenopause in eine Depression gefallen. Zuvor hatte sie noch nie was von der Perimenopause gehört. Aus diesem Grund hatte sie auch kein Wissen darüber und somit keine Handlungsmöglichkeit. Sie hat also viel zu lange leiden müssen, bevor sie sich helfen (lassen) konnte.

Was sagst Du allen, denen es insgeheim vorm nächsten Geburtstag graut? 
Atze Schröders Vater hat ihm zu seinem 50. Geburtstag gesagt: Junge, das Beste kommt erst noch. Ich plädiere für einen positiven Blick in die Zukunft gepaart mit Wissen und Bewusstsein darüber was kommen kann. Damit man Symptome oder schwierige Situationen, die kommen werden, besser einordnen kann.

“So alt war ich noch nie” von Stephanie Hielscher, ersch. bei Rowohlt

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