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17.000 Teenager und ich: Ein Millennial auf dem Olivia Rodrigo Konzert

Was ich als Ü30-Millennial auf dem Olivia-Rodrigo-Konzert vom Teenie-Publikum gelernt habe + Kritik an WDR-Fußball-Doku, das Aus für ICQ und die Rückkehr des Seitenscheitels

Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Journalistin in Berlin, und in diesem Newsletter lassen wir die Woche gemeinsam ausklingen. Heute mit diesen Themen:

  • Kolumne: Was ich als Ü30-Millennial auf dem Olivia-Rodrigo-Konzert vom Teenie-Publikum gelernt habe

  • Smalltalk-Repertoire: Kritik an WDR-Fußball-Doku, das Aus für ICQ und die Rückkehr des Seitenscheitels

  • Binge-Alarm: ein satirischer Blick auf die britische Upper Class, Mom-Geheimnisse von Beyoncés Mutter Tina Knowles und ein Buch über weibliche Scham

    Viel Spaß beim Lesen!  

Brief von Julia

Ratlos stehe ich vorm Kleiderschrank: Was, bitte schön, zieht man mit fast 34 Jahren zum Olivia-Rodrigo-Konzert an?! Eine Google-Anfrage ergibt, dass man am besten den “coquette core”-Style der amerikanischen Sängerin kopiert, will man sich als echter Fan präsentieren – gemeint sind Falten- oder Paillettenminiröcke, dazu weiße Söckchen in Loafers, Rippentop und Courtney-Love-Tiara dazu.

Ich komme mir albern vor in dem Look, und ich muss daran denken, wie früher in der “Instyle” erklärt wurde, wie man Trends mit 20, 30, 40 und 50 Jahren “richtig” interpretiert. Punkiger Popprinzessinnen-Look mit Ü30, wie geht das?!

Am Ende entscheide ich mich für eine Missoni-Lookalike-Schlaghose, Glitzerlidschatten und ein neckisches Zöpfchen im Haar, so, wie Olivia Rodrigo sie auch häufiger trägt. Ich finde, das geht in Ordnung, auch wenn ich jetzt schon fühle, dass ich an diesem Abend noch häufiger über mein Alter nachdenken werde.

Schließlich macht Rodrigo Popmusik, mit der Leute in meinem Alter erstaunlich viel anfangen können, weil sie so schön leidend, dramatisch und wütend klingt – eigentlich aber setzt sich das Publikum hauptsächlich aus Fans zusammen, die Montag in der Schule vom Konzert erzählen werden. (Meine Kritik zu Olivias aktuellen Album lest Ihr übrigens hier.)

Ich bin mit einer Freundin beim Konzert, die ich kenne, seit wir beide so alt waren wie die 17.000 Teenager, die ihr Idol in der Uber Arena ankreischen. Als Rodrigo fragt, wer die Eltern mit zum Konzert mitgebracht habe, schreit die Menge für meinen Geschmack ein bisschen zu laut. Ich stehe mit einem Glas Weißwein auf meinem Logen-Platz und beobachte Midlife-Crisis-Väter, die peinlich berührt und komplett teilnahmslos zugleich neben ihren euphorischen Teenie-Töchtern sitzen.

Die singen lauthals mit, warum es eine “bad idea” ist, den Ex nach einer Party aufzusuchen, und sind überglücklich, als Rodrigo auf einer leuchtenden Mondsichel sitzend über ihre Fans hinwegschwebt und ihnen zuwinkt: “Hiiii-iii!” In der ersten Reihe überreichen die allergrößten Fans ihrem Idol selbstgemalte Bilder und eine Tüte mit Bahlsen-Keksen und Toffifee.

Olivia bedankt sich mit ihrem strahlendsten Lächeln, das sie in ihrer Zeit als Disney-Serien-Starlet gelernt haben muss, und einem Rat, den sie mit 21 Jahren ihrem jüngeren Ich geben würde. Den genauen Wortlaut habe ich in seiner TikTok-Floskeligkeit vergessen, ich glaube, es ging darum, sich nicht immer so viele Gedanken zu machen, das Leben halte ungeahnt viele magische Momente bereit.

Für die 13-Jährigen ist das hier mit Sicherheit so ein magischer Moment. Der Konzertabend mag aus Erwachsenen-Sicht sehr vanilla, sehr glatt sein; die Anekdoten, die Olivia Rodrigo zwischen den Songs erzählt, erinnern mehr an eine wohlerzogene Medizinstudentin als einen internationalen Superstar (“Ich hab‘ während der Dreharbeiten so getan, als müsste ich auf Toilette, dabei habe ich heimlich einen neuen Song aufgenommen”).

Aber die perfekt inszenierte Show mit einer wirklich sehr guten Band zielt eben darauf ab, Teenie-Mädchen einmal die komplette Gefühlsachterbahn des Lebens in wunderschöner Überhöhung nachspüren zu lassen: Liebe, Freundschaft, Wut, Hoffnung.

Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, so viel gleichzeitig zu fühlen und jeden kleinen Moment im Leben für unfassbar wichtig zu halten. Wie es ist, wenn man die Welt nicht mit ironischer Distanz betrachtet, sondern sich voll und ganz dem Moment hinzugeben, kreischend und schreien und hopsend, und ich bin froh, dass Olivia und ihre Fans mich daran erinnern. Wartet nur ab, bald wird alles wunderschön, auch wenn ihr das grad noch nicht glauben wollt, das ist Olivia Rodrigos Message an ihr Publikum – und die können an diesem Abend in Berlin alle nachfühlen, egal, ob von teenage angst geplagt oder mit millennial anxiety kämpfend.

Ich schwenke vom Wein auf Wasser um. Mit 34 achte ich peinlich genau auf das Verhältnis zwischen Alkoholkonsum und Rehydrierung. Olivia Rodrigo erzählt, dass sie in den USA nun endlich einen Drink nehmen dürfte, wenn sie wollte, im Februar wurde sie 21. Dann hüpft sie weiter unermüdlich über die Bühne, sie fordert ihr Publikum auf, allen Unmut über eine Person herauszuschreien, die zuletzt genervt hat. Auf drei, eins, zwei, drei. Alle schreien aus voller Lunge. Ich auch.

So Cool Love GIF by Apple Music

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Danke an Uber Deutschland für die Einladung zum Konzert und den perfekt organisierten Abend!

Smalltalk-Repertoire

Gut gemeint, grottenschlecht gemacht: Viel Kritik gibt es diese Woche an der WDR-Doku “Einigkeit und Recht und Vielfalt” und einer dafür extra angefertigten Meinungsumfrage zu Diversität im Fußball. In der sollten die Befragten u.a. ihre Zustimmung zu Aussagen geben wie “Ich fände es besser, wenn wieder mehr weiße Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielen”. Die überflüssige Bestätigung von rassistischen Meinungen wird scharf kritisiert, so nannte Nationalspieler Joshua Kimmich die Umfrage so kurz vor der WM “absolut kontraproduktiv.”

Er der Jäger, sie die Sammlerin? Geschlechterspezifische Rollenbilder werden gern auf die Aufgabenteilung der Steinzeit zurückgeführt. Dabei belegen archäologische Funde das gar nicht, zumindest kann man auf Höhlenmalereien oft nicht erkennen, was wer auf den Darstellungen genau macht. Dass die Tätigkeiten Haus/Hof/Kinder den Steinzeitfrauen zugeschrieben wurden, geht auf das gesellschaftliche Schablonendenken des 19. Jahrhunderts zurück – die Forschung heute ist sich sicher, dass Frauen genau wie Männer jagten. Spannender Artikel in der “SZ”!

Zum letzten Mal “uh-oooh”: Der Instant-Messenger ICQ wird Ende Juni abgeschaltet. Oh, die Erinnerungen! In meiner Jugend habe ich mich täglich mit meinem Bruder um Internet-Zeit am Familien-PC gestritten, weil ich auf ICQ mit meinen Freundinnen und Schwärmen chatten wollte... Könnt Ihr Eure Nummer noch auswendig?

Ist der Seitenscheitel zurück?! Vor kurzem galt der Seitenscheitel in Gen-Z-Kreisen noch als peinliches Millennial-Insignium schlechthin – jetzt bringen Stars wie Zendaya oder Bella Hadid die Frisur zurück. Whaaaat?! Mehr dazu hier.

Binge-Alarm: Was Ihr diese Woche lesen, sehen, hören könnt

 📚 Reiche britische Ladies mit Butler und Herzschmerz: Plum Sykes nimmt in ihrem neuen Roman “Wives Like Us” die britische Country-High-Society aufs Korn. Die Schriftstellerin kennt Ihr vielleicht noch von ihrem Debüt “Bergdorf Blondes”, ein Chick-Lit-Klassiker aus der “Der Teufel trägt Prada”-Generation (oder aus diesem Video). Lustiger Sommer-Schmöker!

🎧 Wie Tina Knowles ihre Tochter Beyoncé zum Megastar formte: Im “Vogue”-Podcast “The Run Through” plaudert Mama Knowles aus dem Nähkästchen und erzählt, wie es ist, mit ihrer Tochter zusammenzuarbeiten.

 📚 Heute schon geschämt? Anika Landsteiner schreibt in ihrem neuen Buch “Sorry not sorry” über weibliche Scham in allen Aspekten des Lebens – von Körper über Arbeit bis zu sozialen Interaktionen. Kluges Buch, in die einzelnen Kapitel kann man immer mal wieder gut reinlesen.

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